LULU ein deutscher Traum – Premiere am Mittwoch 4.5. auf der Studiobühne zu Köln

Recht gespannt nahm ich links in der vordersten Reihe Platz und musterte die Bühne, die sich ohne einen Vorhang schamlos dem Publikum präsentierte. Zu meiner Rechten standen Tische mit den Steuerkonsolen der Technik und den Utensilien der Produktionsleitung. Im Zentrum der Bühne stand ein Kasten, der genau so gut ein riesiger Schneewitchensarg oder ein gläserner Käfig sein konnte. Auf dessen Boden lag schon beim Eintreten des Publikums eine Frau – offensichtlich Lulu – Objekt der Begierde aus Wedekinds „Erdgeist“ und „Büchse der Pandora“. Rechts darüber war ein Bildschirm aufgehängt, der während des Spiels zeigte, was ein Kameramann auf der Bühne filmte – unter anderem auch Blätter, mit Worten, Parolen und Zeichnungen, die im Spielraum hingen oder lagen. Ganz rechts wurde die Bühne von Tischen begrenzt, auf denen die Utensilien für das eigentliche Spiel lagen und große Wasserflaschen standen.

Das Spiel in seiner Reihenfolge zu erinnern, fällt außerordentlich schwer, weil die Zeitebenen ineinandergreifen, durcheinanderwirbeln und von der ersten Szene an klar wird, dass die Erzählung keinen Halt geben darf. Ungeschützt wie alle Protagonisten soll das Publikum ebenfalls sein.

So fängt es an: Es erklingt Nicos Version des Deutschlandliedes, dieses Grablied auf unsere Republik nur begleitet von ihrem Harmonium. – Ganz schön dick aufgetragen, eine hohe Vorlage. Wie kommt ihr jetzt da raus? – Ganz einfach: Mit dem Ende. Das Stück beginnt nach kurzer Vorstellung Lulus (Lara Pietjou) mit der Schlussszene aus „Die Büchse der Pandora“. Der Moderator (Tomasso Tessitori) spricht, Jack The Ripper / Jack Schwarz (Ingmar Skrinjar) handelt. Der im Original englische Text wurde ins Deutsche übersetzt. Die Szene endet mit der Zerstückelung Lulus. Das ist die einzige Szene, die das Drama Wedekinds wörtlich nimmt, und sie wirkt seltsam unschuldig und amateurhaft. Fast als würde die Theater AG des nachbarschaftlichen Gymnasiums dieses Stück spielen. Darauf wird diese Anklage vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts auf die Prüderie und die bürgerliche Gesellschaft brutal dekonstruiert, zerschmettert und ausgeweidet wie Lulu von dem Serienmörder. – Richtig so!

Nicht nur das: Daniel Schüssler und seine Truppe dekonstruieren nicht nur, sie kodieren den zerstückelten Text neu, setzen ihn in den Kontext von eigenen Texten und zitieren unter anderen Baudrillard und Meese. Das Stück vernichtet es nicht – im Gegenteil – es windet sich, faucht und schlägt umher wie eine tödlich verletzte Bestie. Die Unmöglichkeit der totalen Freiheit wird gezeigt. Der Aufbau, das Spiel einer Szene, ähnelt der Kommune 1. Denn die totale Freiheit kippt, weil total, in die totale Überwachung und im Erreichen der Utopie stirbt sie an sich selbst. Und in all diesen Widersprüchen sehnen sich die Protagonisten nach dem Glück, nach der Liebe. Beides ist unerreichbar, weil Sehnsucht, erreicht sie ihr Objekt, neue Sehnsucht schafft.
Genauso unmöglich wie das Glück scheint, dass die Kunst die Menschen ändern kann. Selbst die Provokation wird zur Farce und der einzige Ausweg und letzte Konsequenz scheint der Selbstmord oder gar das Selbstmordattentat. Kehrt eure Verletzung euren Hass und eure innere Zerstüörung nach außen. Hier gelangt die Truppe wieder bei der Intention Wedekinds, der in den beiden Lulu-Stücken seine Verachtung für die Gesellschaft der vorletzten Jahrhundertwende ausgespien hatte.
Das Ensemble ist dynamisch, laut und leidenschaftlich bis über die Schmerzgrenze – besonders Dorothea Förtsch (Die Geschwitz) und Ingmar Skrinjar (Jack (the Ripper) Schwarz) muten sich und dem Publikum alles zu, verlieren nicht einen Augenblick die Konzentration und brennen lichterloh.

Das Spiel des gesamtes Ensembles ist nicht nur Theater, es ist auch Tanz und es liebäugelt mit dem Musiktheater. Wen wundert es, dass Daniel Schüßler zu seinen Einflüssen Richard Wagner zählt und seine Dramaturgin Sandra Röseler passionierte Tänzerin ist. Die Rhythmik in den Szenen und deren Ordnung untereinander lebt von Variation, Wiederholung und Kontrapunkt.

Das Stück ist ein Treffer und wer es sich ansehen will, kann das am 7. und 8. Mai noch tun.
Und das rote Kleid der Produktionsleiterin hielt mich nicht unwesentlich in Bann.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieser Beitrag von Jörg Burandt („Thee Reverend“) steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported Lizenz.

Studiobühne Köln

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert