Hamlet ist tot. Lang lebe die Maschine!

Sie haben es wieder getan. Daniel Schüssler ist Wiederholungstäter und hat die Truppe des ANALOG-PROJEKTs zu seiner Komplizin gemacht. Zum zweiten Mal bringt er ein Stück des Österreichers Palmetshofer auf die Bühne.

Und wenn hier jetzt irgendeiner fragt, „Hey Rev, warum ist deine zweite Kritik in deinem Block mal wieder ein Stück von diesen Quartalsirren? Siehst Du Dir keine anderen Stücke an? Gehst Du nicht ins Kino oder gibt es da nichts anderes?“, bekommt der aufs Maul. Und ja! Ich sehe andere Stücke. Das letzte, dass mir sehr gut gefiel, war Sibylle Bergs „Hauptsache Arbeit“. Und das ist gar nicht mal so lange her. Dazu schreibe ich aber nix, weil dass meine kleine Schwester schon besser getan hat, als es mir je gelingen könnte.

Hier geht es aber um:

HAMLET IST TOT.KEINE SCHWERKRAFT
von Ewald Palmetshofer

Ein ANALOG-Projekt von Daniel Schüssler
in Koproduktion mit der studiobühneköln
Zur Studiobühne

Premiere war am 5. September in der Studiobühne zu Köln. Ich kam von Kassel daher und trug noch schwer an den Eindrücken meines Zweitagesmarathons auf der documenta (13) und deshalb war ich auch prima eingestimmt und gespannt. – Also habt Nachsicht.

Der Beginn war – wie bereits bei seiner LULU – wie soll man sagen: Ein Übergang vom Alltäglichen zum Dramatischen. Herr Schüssler höchstpersönlich wurschtelte auf und fegte über die Bühne, verschwand in den hinteren Reihen und hinterließ Nebelschwaden, aus denen nach einer Weile die sechs Schauspieler erschienen, während wir das wunderbare Barocklied „O Solitude, My Sweetest Choice“ von Purcell hören. Dieser Abschied an die Welt ist also der Beginn des Stücks, denke ich und unweigerlich an LULU. Diese Endlosschleife des Kummers, des Lebens und des Todes, aus der nicht einmal der Freitod befreit, und in der man nur die Wahl hat sich hinzugeben oder seine Existenz im Kampf bestätigt. Leiden müssen wir eh, wir vom Leben ungefragt Ausgespieene.

Und diese Fuge des Seins, die vielleicht drei, vier oder fünf Themen hat, – mehr hat sie nicht -, spiegelt die Sprache Palmetshofers. Die Themen werden in diesem Sextett der sechs Schauspieler übernommen und übergeben wie die Stimmen in einem Streichsextett. Diese Musikalität ist dem Ensemble so bewusst, dass dieses Stück in dieser Inszenierung fraglos als Hörspiel funktionierte. Es finden zwar keine echten Dialoge statt, doch ohne die unterschiedlichen Stimmen, die mit diesen Themen spielen, bliebe nichts außer die schreckliche und Furcht einflößende „Handlung“.

In dieser Rhythmik und ihrer Melodie erinnert die Sprache an den großen Österreicher Bernhard und in ihrer Künstlichkeit, wie Daniel Schüssler erkennt und zugibt, an die gefeilte Sprache eines Ödon von Horvath. Und das trotz einer Sprache, die deftig und lustvoll ist wie die Werner Schwabs.

Und genau wie das von diesem Ensemble umgesetzt wird ist schier atemberaubend und die eineinhalb Stunden dieses Stückes gehen genau so schnell vorbei wie ein guter Thriller.

Genau genommen gibt es in diesem Stück nicht einmal eine Handlung. Es ist eine Anordnung, wie eine Familenaufstellung aus der systemischen Psychotherapie. Die Aufstellung wird variiert, als stellte jeder der Protagonisten seine eigene Formation auf – ein wenig wie die Technik in Rashomon – nur statisch statt episodisch.

Zentrum sind die vier „Freunde“ Dani (Dorothea Förtsch – Wiederholungstäterin aus „wohnen.unter glas“), Mani, ihr Bruder (Daniel Heck), Bine (Ina Tempel) und Oli ihr Mann (Ingmar Skrinjar). Weiter spielen mit eine Mutter Caro (Susanne Kubelka) und ein Vater Kurt (Tomasso Tessitori). Wessen Vater und Mutter diese beiden darstellen, ergibt sich dann hier und da. Ich konnte keinen Makel an ihrem Spiel entdecken und möchte das Bild vom virtuosen Sextett so stehen lassen.

Hannes, der fünfte Freund ist tot und Oma hat ihren 95. Geburtstag. Wessen Oma? Ist Hannes nun Hamlet? Und ist die Maschine, die der Himmel sich nun statt Gott installiert hat, die Hamletmaschine?

Hamlet war ein Held. Und wie mir mal ein kluger Mann sagte, sind Helden jene, denen man nachwinkt. Doch hier winkt oder weint man niemanden hinterher.

Das abgespaltene einsame Ich ist mit seinem großen Loch und seinem unstillbaren Hunger, es zu stopfen, das, was übrig bleibt und die Unfähigkeit zu wünschen lässt die einen wunschlos glücklich (?), doch die anderen wunschlos unglücklich. Denn von der Beziehungsscheiße mag auch keiner mehr reden, weil dann der Schädel explodiert.

Alles ist in diesem Stück Möglichkeit. Allein der Tod und die Existenz sind real.

Das Bühnenbild (Akki Müller) ist spartanisch und dieser Geschichte angemessen. Und dass das Grab ihres Freundes dem Paar Bine/Oli als Bumsunterlage dient, ist Poesie obszönster Schönheit. Ich wette irgendeiner der Beteiligten kennt das Werk Batailles. Zu dem ganzen Bild ist die fast ausschließlich weiße Beleuchtung (Ennelin Reich) aus Leuchstoffröhren kongenial.

Die Kostüme (Miriam Dadel) unterstreichen prächtig das Bild einer dysfunktionalen Gemeinschaft in der Sucht, Inzest und Gewalt jeden Hedonismus zur lächerlichen Attitüde werden lassen. Ich wartete förmlich darauf, dass Dani ein Junkiebesteck aus ihrer Blousonjacke holt.

Ich kann und darf für dieses Stück unbedingt einen Freizeitbefehl erteilen: Anschauen!
Zur Studiobühne

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Dieser Beitrag von Jörg Burandt („Thee Reverend“) steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported Lizenz.

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