Jessy! Hol Hilfe!

Meine schwarze Hündin Jessy (a.b.a. Frau Lampe) und ich waren auf unserem Morgensparziergang bereits auf dem Rückweg.

Aufmerksame Frau Lampe

Aufgeregt sprang sie ins Gebüsch, stob wieder hinaus, schnüffelte aufgeregt am Gestrüpp. Sie schaute zu mir, anscheinend ratlos, was sie nun machen solle. Ich ging rasch zu ihr und beäugte die Stelle. Das Gestrüpp bebte und raschelte. Irgend etwas war dort geschäftig. Ein Maulwurf war es wohl kaum, weil der sich schon längst wieder in seinen Bau zurückgezogen hätte. Es sei denn … – Es sei denn, er wäre verletzt. Das gälte für jedes andere Tier ebenso. Ich betrachtete die Stelle genauer. Das Kraut dort war so dicht, dass ich unmöglich erkennen konnte was sich darunter verbarg.

Ich bedachte die Möglichkeiten. Eindeutig zu klein war der Fleck, dass sich ein Hund oder Fuchs darunter verbargen, – eine kleinere Katze, eine Ratte ein Marder vielleicht dachte ich. Weil das Tier nicht mehr fliehen konnte, war es verletzt oder steckte arg in der Klemme.

Nun gut: Hilfe musste her, wenn mich Jessy schon hierhergelockt hatte. Respektvoll hielt sie eine Armeslänge Abstand (Ja, ich weiß wie das klingt. Das gehört so!), teilte mir ihre Aufregung und Neugier durch Winseln und etwas abgewürgtem Bellen mit. Ich beugte mich hinunter und teilte behutsam das Gestrüpp.

Tja und da hing er fest der arme kleine Teufel, – eine junge Elster die zappelte und sich nicht befreien konnte, weil sie sich schier unrettbar in dem Gewirr von Pflanzenschlingen, Gräsern und Ästen verheddert hatte.

Ich war erleichtert; kein Marder, keine wütende Katze oder verzweifelte Ratte, die ich befreien musste. Aber auch die hätte ich nicht im Stich gelassen.

Der kleine Kerl ruckelt nur noch schwach in seiner Falle. Mit beiden Händen umgreife ich den Vogel, damit er sich nicht weiter verletzt und ziehe ihn langsam aus dem Gestrüpp. Ich untersuche ihn nur kurz auf offene Verletzungen oder Blutspuren und befreie ihn vorsichtig von den Stängeln und Trieben, die ihn gefangen halten. Dabei untersuche ich ihn weiter, stelle keine offensichtlichen Brüche an Flügel, Krallen oder Rückgrat fest und setze ihn vor mir auf den Ackerboden.

Frau Lampe, die die ganzen Minuten der vorläufigen Rettung gebannt und schwanzwedelnd verfolgt, springt zum Vogel und bellt ihn kurz an, als wolle sie ihn zur schnellen Flucht animieren, – Sie hat niemals eine Beute, die sie stellte angegriffen. Komischer Hund dieser Hund.

Ich ziehe sie zurück und wir sehen, wie der kleine Kerl sich bedenklich ungesund krümmt, von einer auf die andere Seite purzelt und keine Anstalten macht wegzufliegen. Kurz: Wir sehen, dass es wirklich schlecht um ihn steht, er um sein Leben kämpft und wir schnell etwas unternehmen müssen.

Im strammen Schritt gehen wir nach Hause. Frau Lampe folgt mir bei Fuß ohne ein Kommando und versucht auch nicht wie üblich zum Spiel aufzufordern oder mich mit erlernten Tricks um Leckerlis anzubetteln.

Zu Hause angekommen bat ich die Nachbarin rasch um ein Beutel Katzenfutter, weil das besonders Energiereich ist. Elstern sind halt Allesfresser.

Ich nahm einen umgestülpten Wäschekorb, dem ich auf den Küchentisch stellte als Krankenzimmer, und setzte den Vogel darunter, stellte eine Schale Wasser und ein Tellerchen mit dem Katzenfutter und ein paar Nüssen hinein und sah mir das Häufchen Elend an. Der oder die kleine – ich vermute es handelte sich um eine diesjährige Junghenne, weil sie sehr leicht war, aber nicht unterernährt oder schwächlich – fiel weiter von der einen auf die andere Seite, purzelte in die Trinkschale ohne zu trinke und bewegte sich völlig unkoordiniert und orientierungslos. Da ich ihre Brust bereits darauf untersucht hatte, ob sie unterernährt war, sich aber für einen Vogel dieser Größe normal anfühlte, war klar, dass sie völlig dehydriert war, unter Schock stand und innere Verletzungen haben konnte. Wir machten uns große Sorgen. Frau Lampe nämlich saß aufmerksam daneben und sah sich ruhig alles an.

Es half alles nichts. Ich musste die Kleine noch einmal in die Hand nehmen. Ich tränkte sie mit einer Medizinspritze über den Schnabel den ich mit Daumen und Zeigefinger offenhielt und setzte sie wieder in ihr kleines Krankenzimmer.
Damit sie wieder zur Ruhe kommt, ließen wir sie allein. Wir brauchten nicht zu lange warten, bis wir zum ersten Mal den zweisilbigen Ortungsruf hörten. Es tat sich was.

Tatsächlich machte sie sich – allerdings noch recht schwach – am Gitter ihres Gefängnisses zu schaffen. Ein verzagter Fluchtversuch. Langsam schöpfte ich Hoffnung für die Kleine.
Ich belästigte die Arme sicherheitshalber wieder mit der Tränkprozedur um sicherzugehen, dass sie nicht kollabiert, und setzte sie auf meinen Balkon, Trinkschale und Tellerchen mit Katzenfutter, das bis hier unberührt war, stellte ich dazu und schloss die Balkontür. Noch sehr unsicher purzelte sie nach einer Weile über den Balkon und versteckte sich hinter einer Batterie von leeren Blumentöpfen, dahin stellte ich das Tellerchen mit Futter.

Dann aber, langsam und unsicher begann sie ihre Umgebung auszukundschaften, ging zur Trinkschale, trank etwas und erinnerte sich, wo das Futter stand um auch darin zu picken. Ihr Schritt war wieder sicher. Statt nur zu gehen begann sie ab und zu zu hüpfen.

Beruhigt setzte ich in meinen Lesesessel las und vergaß meine Sorge.

Dann aus dem Augenwinkel sah ich einen schwarz-weißen Blitz auf das Balkongeländer springen und mit einem weiteren Flügelschlag davonfliegen.

Um sicherzugehen, dass es sich nicht um eine ihrer Cousinen handelte, die mich gelegentlich besuchen, gingen wir auf den Balkon. Was ein Glück – sie war fort.

Frau Lampe stützte sich in „Männchen“-Position auf den Balkonrand, weil sie wohl wissen wollte, wo die merkwürdige Besucherin geblieben war.

Die hatte ihr als ihrer Retterin das Abschiedsgeschenk den Großteil ihrer Stärkung hinterlassen.

Frau Lampe schätzt Katzenfutter und Nüsse sehr.

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