Dass ich frage, warum manche Menschen so geworden sind, wie sie sind, frage ich mich ausschließlich, wenn die Menschen, bei denen ich mich frage, wie sie sind, nicht so sind, wie ich meine, Menschen zu sein haben. Ich kann mich ja auch fragen, warum Menschen so geworden sind, wie sie sind, wenn sie so geworden sind, wie ich erwarte, wie Menschen zu sein haben. Dass ich das nicht frage, sagt über mich, dass ich erwarte, dass ein Mensch so zu sein hat, wie ich mir vorstelle, wie ein Mensch zu sein hat. – Was folgt aus der Erkenntnis – sofern es diese gibt?
Das macht es leichter, nicht hinzunehmen, dass er nicht so ist, wie ich erwarte, Menschen zu sein haben. Ich kann ihn entschuldigen, weil das, was dafür sorgte, dass er nicht so ist, wie ich erwarte, ein Mensch zu sein hat, ihn zu dem machte, was er nun ist. Wenn dieses „was“, das ihn zu einem Menschen machte, der nicht ein Mensch ist, wie ich behaupte ein Mensch zu sein hat, der besagte Mensch selbst ist, ist das seine Verantwortung, weil er so ist, wie er behauptet Menschen – oder zumindest er selbst – zu sein hat. Dass ich dieses „was“ von diesem Menschen trenne, nimmt ihm die Verantwortung dafür, wie er ist. Andererseits behaupte ich für mein Sein die Verantwortung. Da stimmen die Verhältnisse nicht. Da ich mich nun nicht für perfekt halte und auch nicht für einen Menschen halte, der nicht so ist, wie ich meine, ein Mensch zu sein hat, suche ich bei mir die Verantwortung, die ich dem anderen abspreche. Ist das respektlos? Ist das gerecht? Ist es hinter Philanthropie verborgene Verachtung?
Da denke ich besser mal drüber nach.
Dieser Beitrag von Jörg Burandt („Thee Reverend“) steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported Lizenz.