BEING PHILOTAS – Wofür es sich zu sterben lohnt

Bevor ich etwas zu diesem Stück meine und schreibe, gibt es erst eine Stellungnahme:

Es scheint fast, dass ich Haus- und Hofberichterstatter des Analogtheaters, der Truppe um Daniel Schüssler bin, weil hier in meinem Blog keine anderen Stellungnahmen zu anderen Stücken zu lesen sind.

Das hat wichtige Gründe:

  • Andere Truppen bekommen die Resonanz, die sie verdient haben. Um nur eine herauszugreifen, die ich ebenfalls schätze – Rimini Protokoll – wird bei den Profis (zu Recht) gefeiert. Das Analogtheater dagegen bekommt nicht die Resonanz, die es verdient. Mein Impuls ist ein gewisser Gerechtigkeitssinn. Das Analogtheater bekommt übrigens endlich Förderungen von Kulturinstitutionen.
  • Ich mag diese Truppe, bin langsam vertraut mit einem Teil ihres Kanons an Stil- und Ausdrucksmitteln.
  • Teilt die Truppe mit mir Fragen, die mich dauernd beschäftigen.
  • Macht es mir Spaß, mich daran zu reiben und abzuarbeiten.

Kurz: Es gibt keine Abhängigkeit zwischen mir und diesem Theater außer Interesse und Genuss.

Aber nun zur Premiere vom 4. September

Was? War? Das?

Zur Klärung. Gotthold Ephraim Lessing veröffentlichte diesen Einakter anfangs unter einem Pseudonym. Denn was er da schrieb, war neu und gewagt, zerstörte er mit diesem Stück die Darstellung von Helden, wie sie damals von den Zeitgenossen erwünscht war. Ein naiver, aufbrausender Jüngling kratzte da schon ordentlich am Mythos des reinen Helden. Das Stück fiel bei der damaligen Kritik im Großen und Ganzen durch. Auch der kriegsmüde König passte so nicht in die damalige Zeit und war sicher Lessings Stellungnahme zum Siebenjährigen Krieg. Ein Pazifist war er sicher nicht, aber dem Stück Verklärung kriegerischen Heldenmutes vorzuwerfen, geht an der Absicht dieses kleinen Dramas vorbei.

Und hier steigt das Analogtheater ein. Nicht ein kleiner Wortfetzen des Originals wird gesprochen. Nicht einmal die Protagonisten tauchen auf. Nur die Dramaturgin Sandra Röseler, die mit einer Tafel „Einführung“ wie eine Fremdenführerin mit zufällig(?) ausgewählten Zuschauern auf die Galerie marschiert, gibt eine kurze Inhaltsangabe des Dramas von Lessing.

Aber noch mal von vorne:

Ich kam arg früh zur Studiobühne und man sagte mir, dass ich über die Galerie die Spielstätte betreten solle. Ich war der erste Zuschauer. Hier erlebte ich unvermittelt den Laborcharakter des Stückes. Es gibt mehrere Bühnen oder auch gar keine. Die meist bespielte Fläche ist der Boden, auf dem Sitz- und Liegegelegenheiten für die Zuschauer aufgestellt wurden, die im Übrigen später ausdrücklich aufgefordert werden, sich frei zu bewegen. Allein die Musiker der Weltausstellung haben so etwas wie eine Bühne und Podeste. Einige große Bäume aus weißer Pappe sind aufgestellt und alles ist etwas blumig – ein Gartenlabor. Teil des Bühnenbildes sind ebenfalls Beleuchtung (Ennelin Reich), Technik (Giovanna Gilges), eine kleine Theke mit Suppe und Getränke. Dahinter bedienen uns die Bühnen- (Marina Schütte) und Kostümbildnerin (Pina Starke), Es ist auf eine gemütliche Art provisorisch.

Die Mitspieler – die Grenzen zwischen den einzelnen Funktionen wie Bühnenbildner, Schauspieler, Musiker verschwimmen so, dass ich nicht Schauspieler sagen kann – werkeln auf dem Boden an einem Kreuz und tackern Zettel darauf fest. Herr Schüssler hebt dieses Kreuz und schlägt es auf den Boden. Oder ist es das Schwert des Aridäus mit dem Philotas sich entleibt? Die Musiker stimmen mit der Technik und den Sprechern das Klangbild ab. Während dieser Vorbereitungen(?) trudeln die Zuschauer ein und machen es sich bequem. Jeder Zuschauer bekam einen Stift und einen Zettel in die Hand gedrückt, um das zu notieren, von dem er erlöst werden möchte. Denn das war die zweite Frage, an der sich das Analogtheater abarbeitete. – Erlösung.

Nach einer Weile lädt Herr Schüßler die Zuschauer zu einer Suppe ein. Die tatsächlich an der kleinen Theke serviert wird, weil wir zusammen die Suppe auslöffeln sollen, wie er betont.

Darauf beginnt das Stück mit der erwähnten Einführung, hat aber gefühlt bereits begonnen.

Danach gibt es so etwas wie eine Revue über das Grundthema des Stückes, eben die Frage wofür es sich zu sterben, also auch zu leben lohnt. Die Frage, wie es überhaupt möglich sei, Sinn zu stiften in einem Leben, in dem der Konsum uns scheinbar alle Möglichkeiten uns zu „verwirklichen“ gibt, dafür aber einen hohen Preis fordert. Er nimmt uns die Leidenschaften.

Diese Revue besteht unter anderen aus Filmen, Monologen, Liedern, Tänzen und kurzen Dialogen. In einem Film stolpert anscheinend ziellos Daniel Schüßler durch das Rom während der letzten Papstwahl. Die Kamera wird auf die gespannten Gesichter der Wartenden gerichtet. Sehnsucht – auch ein Thema des Stückes – und besonders Erlösung ist das, was sie erwarten.

Dann gibt es noch einen lustigen und penetranten Film mit einem doofen Als-ob-Inder und Hakenkreuzen, nachdem Herr Schüßler sich in einem Monolog mal wieder am Nationalsozialismus empor polemisierte. Ich hoffte eigentlich, dass dieses Thema mit Riefenstahl abgearbeitet wäre. Naja, da muss er wohl durch, obwohl mich das Thema (unter anderen auch bei Jonathan Meese) ermüdet. Aber ich mag ja auch keinen Wagner …

Wie auch immer: Ohne jetzt auf alle Szenen eingehen zu wollen, wie zum Beispiel das wunderbare Duett von Sandra Röseler (tanzt) und Vander Wingen (singt) und das herzzerreißende Flehen Dorothea Förtschs nach Liebe, Sinn und Freundschaft, kann und will ich nur berichten, dass ich mich prächtig unterhalten habe.

Ebenfalls bringt Yuta Hamaguchi mit seinen träumerischen und zuweilen wilden Tanzfiguren ein starkes lyrisches Element in die ganze Aufführung.

Das Finale hat eine besondere Erwähnung verdient. Alle Zuschauer werden aufgefordert, die Studiobühne zu verlassen und den Akteuren hinaus zu folgen. Nach kurzem Marsch mit dem Kreuz voller Zettel mit Erlösungswünschen an der Spitze betreten wir den Hof der Studiobühne mit einer eigenartigen Szene. Zwei Priesterinnen / Schamaninnen mit Masken stehen an einem Fass, in dem ein Feuer lodert. Herr Schüssler erlöst uns und das Stück ist zu Ende. Wie er das macht, das seht euch mal schön selbst an. – Nur eins: Er wollte endlich von seinem ständigen Drang in SS-Uniform Bäume umarmen zu wollen erlöst werden. Na, da bin ich mal gespannt.

Was gibt es noch zu schreiben? Die von mir sehr geschätzte Truppe Weltausstellung – Spezialisten für elektroakustische Improvisationen im Ensemble – hat ebenfalls Außerordentliches geleistet. Die Zusammenarbeit mit der Regie und den Mitspielern war aus einem Guss. Es war keine Bühnenmusik im eigentlichen Sinne, sondern eine echte Kommunikation mit allen Beteiligten inklusive der Zuschauer. Besonders schön war die Idee mit den Kieselsteinen. Auch das seht ihr euch besser selbst an.

Nach dieser Vorstellung musste ich leider schnell fort, weil mich eine kleine Bronchitis quälte. Ein wenig glücklicher als vor dem Stück war ich nachher schon.

Den letzten Satz im Trauerspiel Lessings hat Aridäus, der König, in dessen Gefangenschaft sich Philotas umbrachte: „Glaubt ihr Menschen, dass man es nicht satt wird?“

Alle, die gestern in der Studiobühne waren, werden ihm heftig widersprechen.

Infos – Studiobühne Köln – PHILOTAS

 

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